Nukleare, chemische und biologische Waffen unter Verschluss halten
Die Resolution 1540 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (UNSCR 1540) verpflichtet die Staaten zu Hunderten Maßnahmen, von denen jede einzelne unabdingbar dafür ist, dass Massenvernichtungswaffen und ihre Trägersysteme nicht in falsche Hände geraten. Die OSZE spielt dabei eine maßgebliche Rolle, indem sie den Teilnehmerstaaten hilft, die Resolution ordnungsgemäß umzusetzen. Adriana Wolenikowa, eine beigeordnete Projektreferentin in der Gruppe FSK-Unterstützung im Konfliktverhütungszentrum der OSZE, erklärt dazu:
Was müssen Staaten tun, um die UNSCR 1540 umzusetzen?
Die UNSCR 1540 enthält drei absolute Verpflichtungen für die Staaten. Erstens müssen sie jede Form von Unterstützung für nichtstaatliche Akteure unterlassen, die versuchen, nukleare, chemische oder biologische Waffen und ihre Trägersysteme zu entwickeln, zu erwerben, herzustellen, zu besitzen, zu transportieren, weiterzugeben oder einzusetzen. Zweitens haben sie für geeignete Rechtvorschriften zu sorgen. Und drittens müssen strenge innerstaatliche Kontrollen vorhanden sein, um zu gewährleisten, dass Material, das zur Schaffung oder zum Einsatz dieser Waffen verwendet werden kann, gut gesichert ist.
Die UNSCR 1540 enthält insgesamt rund 300 Verpflichtungen für die Staaten. Um ihre Umsetzung zu unterstützen, richtete der UN-Sicherheitsrat den 1540-Ausschuss ein, der seinerseits vom UN-Büro für Abrüstungsfragen (UNODA) unterstützt wird.
Der Schlüssel zur Umsetzung der Resolution ist es, beim schwächsten Glied anzusetzen. Es genügt nicht, dass die großen Atommächte ihre Waffen unter strenger Kontrolle halten, wenn zum Beispiel ein kleiner Staat als Transitland verwendet werden kann. Wenn es darum geht, potenzielle Bestandteile von Chemiewaffen zu kontrollieren, haben wir es mit der chemischen Industrie zu tun, die riesig ist. Biologische Stoffe sind sogar noch schwerer zu kontrollieren, weil sie von regulären Laboratorien und medizinischen Einrichtungen benützt werden, die dafür sorgen müssen, dass alle ihre Proben, die verschiedenen Viren und Pathogene gut gesichert sind.
Und wie kommt die OSZE ins Spiel?
Die OSZE-Teilnehmerstaaten kamen überein, dass es wichtig ist, die UNSCR 1540 zu unterstützen, als die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich dieses Thema 2009 in der OSZE erstmals zur Sprache brachten. Seither hat die Unterstützung der OSZE zugenommen. 2011 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat die UNSCR 1977, in der die regionalen Organisationen ersucht wurden, bei der Umsetzung der UNSCR 1540 Hilfestellung zu leisten, und noch im selben Jahr unterzeichnete die OSZE eine Kooperationsvereinbarung mit dem UNODA.
Der 1540-Ausschuss verfügt nur über einige wenige Experten – derzeit neun, – die für die Überwachung der Umsetzung der UNSCR 1540 weltweit zuständig sind. Wir bei der OSZE bringen die nötigen Voraussetzungen mit, um zu helfen. Die 57 Teilnehmerstaaten treten einmal pro Woche im Forum für Sicherheitskooperation (FSK) zusammen, um militärische Aspekte der Sicherheit zu erörtern. Dank der täglichen Arbeit, die sich aus diesem Sicherheitsdialog ergibt, stehen wir in häufigem Kontakt mit den zuständigen Ministerien und haben ihr Vertrauen. Die Teilnehmerstaaten haben in ihren Außenministerien Kontaktstellen eingerichtete und mehrere von ihnen beteiligen sich am informellen „UNSCR 1540 Freundeskreis“, in dem Belarus und Spanien gemeinsam den Vorsitz führen. Seit 2010 haben wir in der Abteilung FSK-Unterstützung des Konfliktverhütungszentrums eine eigene Gruppe für die Unterstützung der Umsetzung der UNSCR 1540. 2015 verabschiedete das FSK einen Beschluss, in dem es die Rolle der OSZE bei der Förderung der Umsetzung der UNSCR 1540 und insbesondere die Rolle des Konfliktverhütungszentrums ausdrücklich anerkannte.
Die Unterstützung der OSZE für die UNSCR 1540 ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie sie Kapitel VIII der Charta der Vereinten Nationen über regionale Abmachungen praktisch umsetzt. Einerseits bricht sie die Sicherheitsratsresolution herunter auf die regionale und die Landesebene. Das FSK hat die UNSCR 1540 nicht nur regelmäßig auf seiner Tagesordnung, sondern schafft mit seinen Beschlüssen auch die Grundlage dafür, dass die OSZE den Teilnehmerstaaten direkte Unterstützung bei der Umsetzung der Resolution anbieten kann. Andererseits wirkt unsere Arbeit wieder zurück nach oben, auf die globale Ebene. Wir stehen in regelmäßigem Kontakt mit dem UNODA. Einmal im Jahr kommt der Vorsitzende des 1540-Ausschusses nach Wien, um im FSK zu sprechen und sich von den Teilnehmerstaaten informieren zu lassen.
Wie funktioniert die direkte Unterstützung für die Teilnehmerstaaten?
Zuerst einmal setzen wir uns zusammen und gehen mit ihnen gemeinsam die sogenannte UNSCR-1540-Matrix durch, in der ihre Verpflichtungen in allen Einzelheiten aufgelistet sind. Da die Verpflichtungen außerordentlich komplex sind, kann es vorkommen, dass in diesem länderspezifischen Dialog mehr als zwanzig verschiedene Ministerien am Tisch sitzen – die Ministerien für Gesundheit, Industrie und Wirtschaft, ja sogar der veterinärmedizinische Dienst. Wir sehen uns die Grenzkontrollen an, Zollkontrollen, die physische Sicherung des Materials – also viele Dinge –, um uns zu vergewissern, dass das gesamte potenziell gefährliche Material, über das der Staat verfügt, selbst jenes für normale zivile Zwecke wie Röntgengeräte in Krankenhäusern oder Laborproben, gesichert ist. Ein wichtiger Teil der Arbeit besteht auch darin sicherzustellen, dass die Industriebetriebe, die dieses Material herstellen, sich ihrer Verantwortung bewusst sind und sich entsprechend verhalten. Dazu braucht man sogenannte unternehmensinterne Compliance Programme. Und wir legen den Regierungen nahe, Daten über die in ihren Ländern vorhandenen Industrien zu sammeln und sie über die Risiken in Bezug auf Terrorismus aufzuklären, die mit den von ihnen hergestellten Produkten einhergehen können.
Dieser länderspezifische Dialog mündet in einen nationalen Aktionsplan für die Umsetzung, der meist rund zwanzig Maßnahmen enthält, die die Staaten in den nächsten drei bis fünf Jahren verabschieden wollen. Wir empfehlen den Staaten immer, dafür zu sorgen, dass das keine leeren Worte bleiben, sondern Prioritäten zu setzen und realistisch zu sein. Und auch konkret festzulegen, welche Art von Unterstützung sie unter Umständen benötigen. Brauchen sie jemanden für eine logistische Überprüfung? Werden sie geplante Aktivitäten aus dem Staatshaushalt decken können oder werden sie finanzielle Mittel benötigen? Derzeit haben wir 15 UNSCR-Aktionspläne in der OSZE-Region.
Welche einzigartige Dienstleistung bietet die OSZE?
Damit die Umsetzung der UNSCR 1540 auch tatsächlich funktioniert, braucht es eine Kooperationsplattform. Wir bringen Menschen zusammen. Das ist es, was wir anbieten. Wir versuchen nicht, das Rad neu zu erfinden. Wenn ich mich zum Beispiel mit einem Land mit radioaktiven Abfällen befasse und wir bei unserer Beurteilung mit den verschiedenen Ministerien zu dem Schluss kommen, dass ein nuklearer Bauteil Anlass zur Sorge gibt, werde ich die Internationale Atomenergie-Organisation kontaktieren, um herauszufinden, ob man das Problem dort bereits kennt, und sie gegebenenfalls ersuchen, sich direkt mit dem Land in Verbindung zu setzen. Dann werde ich das Außenministerium informieren, damit man dort weiß, dass in dieser Sache bereits etwas unternommen wird, und keine Doppelarbeit stattfindet. Dasselbe tun wir mit der Organisation für das Verbot chemischer Waffen, der Weltgesundheitsorganisation und der Unterstützungsgruppe für das Übereinkommen über biologische Waffen. Man würde meinen, dass so großen Organisationen keine OSZE als Plattform brauchen und das allein schaffen. Aber vielleicht gerade weil sie so groß sind oder weil sie nicht so enge Kontakte und Kontaktstellen in den Ländern haben wie wir, verlassen sie sich tatsächlich auf uns.
Manchmal sind es die kleinen Dinge, die einen großen Unterschied machen. Wenn ein Land diese oder jene Verpflichtung nicht umsetzt, versuche ich immer herauszufinden, wo das Problem liegt, woran es fehlt. Oft weiß das Land nicht, wo es Schulung oder Finanzierung bekommen kann, oder es liegt ein Mangel an Kommunikation oder ein Sprachproblem vor. So hatte etwa Kirgisistan Hilfe in Form einer Kontrollliste für die Ausfuhrkontrolle erhalten, die jedoch nicht in die Landessprache übersetzt worden war; und im Land gab es kein Geld, um sie selbst zu übersetzen. Also haben wir das übernommen. Nur eine kleine Sache, aber sie hat es der Regierung ermöglicht, weiterzumachen und einen Regierungserlass herauszugeben. Und jetzt hat Kirgisistan eine Kontrollliste. Ohne Übersetzung hätte es keine gegeben.
Helfen Sie bei der Beobachtung und Überprüfung?
Dieses Jahr fand weltweit eine Umfassende Überprüfung der UNSCR 1540 statt und die OSZE nahm daran teil. Bei dem Treffen in New York brachten wir mehrere Vorschläge ein.
Die OSZE unterstützt auch Peer Reviews. Sie sind für die Staaten ein äußerst nützliches Instrument, um von einander, den Methoden der anderen zu lernen, vor allem auch deshalb, weil die Resolution selbst keine Instruktionen enthält, wie sie umzusetzen ist. Dieses Jahr unterstützten wir eine dreiseitige Peer Review zwischen Kirgisistan, Tadschikistan und Belarus. Wir hatten ein erstes Treffen 2014 in Bischkek und dann im August dieses Jahres eines in Minsk, bei dem wir kirgisische und tadschikische Beamte in verschiedene Institutionen führten, die sich mit der Identifizierung von chemischem, biologischem und nuklearem Material befassen. Sie diskutierten auch über die belarussischen Ausfuhrkontrollgesetze und besuchten den Flughafen, um zu sehen, welche Screening-Verfahren dort angewendet werden. Zurzeit unterstützen wir Kirgisistan und Tadschikistan dank eines finanziellen Beitrags der Vereinigten Staaten bei der Ausfuhrkontrolle, es passt also genau dazu, dass sie auch von Belarus lernen konnten. Ein drittes Treffen ist für Januar 2017 in Duschanbe geplant.
Wie entwickelt sich Ihrer Ansicht nach die OSZE-Unterstützung für die UNSCR 1540?
Eines der Ergebnisse der Umfassenden Überprüfung wird voraussichtlich die Empfehlung sein, dass sich regionale Organisationen nicht mit einer koordinierenden Rolle zufriedengeben, sondern auch Lücken mit konkreten Aktivitäten schließen und Geber für deren Finanzierung suchen sollten. Wir haben diesen Schritt bereits geschafft. Mithilfe der Schweiz und Italiens, die einen kleinen Beitrag dafür zur Verfügung gestellt haben, und der Vereinigten Staaten, die unsere Aktivitäten laufend unterstützen, haben wir eine Reihe von Projekten entwickelt, darunter eine Chemikalienbewertung in der Ukraine und Hilfe bei der Ausfuhrkontrolle für Zentralasien. Für diese Aktivitäten werden nun Hunderttausende Euro bereitgestellt. Das UNSCR-1540-Projekt der OSZE ist derzeit mit einem Etat von 1,6 Millionen Euro ausgestattet. Die Europäische Union beabsichtigt, weitere UNSCR-1540-Aktivitäten in der OSZE zu unterstützen, es bedarf nur noch eines entsprechenden Beschlusses durch den Europäischen Rat.
Wir haben auch begonnen, uns verstärkt mit Ausbildungsaktivitäten zu befassen: Den ersten Schulungskurs für OSZE-1540-Kontaktstellen veranstaltete die Russische Föderation dieses Jahr im Juni/Juli in Kaliningrad.
Bisher wurden diese OSZE-Aktivitäten aus außerbudgetären Mitteln finanziert. Wir hoffen, dass die Unterstützung des Konfliktverhütungszentrums für die UNSCR 1540 in den konsolidierten Gesamthaushalt aufgenommen wird. Das würde eine viel bessere Planung ermöglichen und diesem Tätigkeitsbereich, der aus der OSZE nicht mehr wegzudenken ist, jene Anerkennung verschaffen, die er verdient.
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