Auf dem Weg zu nachhaltigen und ethischen Lieferketten
Wussten Sie, dass an der Herstellung eines elektronischen Geräts bis zu 1000 Zulieferbetriebe beteiligt sein können? Zwischenprodukte machen rund 70 Prozent der weltweit gehandelten Waren aus, an ihrer Produktion sind über 453 Millionen Menschen beteiligt[1]. Bedenken Sie nun, dass laut Internationaler Arbeitsorganisation (IAO) 90 Prozent der Zwangsarbeit innerhalb dieser Lieferketten stattfindet. Können Sie in der heutigen globalisierten Wirtschaft, in der Werkstoffe und Arbeitskräfte aus aller Welt stammen, sicher sein, dass die Geräte, die Sie täglich benützen, wie Computer, Telefon, Fernsehgerät, Tablet, Herd, Waschmaschine oder Radio nicht von Personen hergestellt wurden, die Opfer von Menschenhandel zum Zwecke der Ausbeutung waren?
Je länger die Lieferkette ist – häufig mit mehreren Zuliefererebenen weltweit – desto schwieriger ist es sicherzustellen, dass die bezogenen Waren und Dienstleistungen nicht von Opfern von Menschenhandel unter Ausbeutung ihrer Arbeitskraft hergestellt wurden. Dazu kommt, dass Korruption und das Fehlen einer verantwortungsvollen Regierungsführung dem Menschenhandel und anderen Formen der Ausbeutung Vorschub leisten. Internationale Standards nehmen sowohl Unternehmen als auch Regierungen in die Pflicht, umfassend tätig zu werden, um das Risiko von Menschenhandel zu verringern und vor Menschenrechtsverletzungen zu schützen.
Die OSZE hat bei der Verhütung von Menschenhandel für die Zwecke der Ausbeutung von Arbeitskräften politische Führungsstärke gezeigt. Die Ministerratserklärung von Wilna 2011 ermutigt „die Teilnehmerstaaten, in Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft unter Beachtung der Grundsätze der Sorgfalt und Transparenz das Ausbeutungsrisiko in der gesamten Versorgungskette zu bewerten“. Der Zusatz zum OSZE-Aktionsplan zur Bekämpfung des Menschenhandels von 2013 tritt für eine Politik der Nicht-Duldung oder andere vergleichbare Standards bei der Beschaffung von Waren und Dienstleistungen durch die öffentliche Hand ein.
Die Parlamentarische Versammlung der OSZE hat 2015 eine Entschließung angenommen, mit der die Teilnehmerstaaten aufgerufen werden, durch Rechtsvorschriften dafür Sorge zu tragen, dass staatliche Liefer- und Leistungsverträge ausschließlich an Unternehmen vergeben werden, die durch entsprechende Planung sicherstellen, dass ihre Subunternehmer und Beschäftigten nicht an Aktivitäten beteiligt sind, die zu Menschenhandel beitragen oder als solcher anzusehen sind.
Auf dem Ministerratstreffen 2016 in Hamburg haben die Außenminister der OSZE einen Beschluss über die Stärkung von guter Regierungsführung und die Förderung der Konnektivität verabschiedet, in der sie die Entschlossenheit der Teilnehmerstaaten betonten, den Menschenhandel und die Ausbeutung von Arbeitskräften insbesondere im öffentlichen Beschaffungswesen zu bekämpfen. Sie beauftragten die OSZE-Durchführungsorgane, „die Teilnehmerstaaten beim Austausch nachahmenswerter Praktiken zur Hebung des Bewusstseins für die Bedeutung der international anerkannten Arbeits‑, Sozial‑ und Umweltstandards sowie zur Stärkung von guter Regierungsführung und zur Förderung von Transparenz im öffentlichen Beschaffungswesen zu unterstützen“.
Multi-Stakeholder-Initiativen
Diese OSZE-Verpflichtungen geben zusammen mit den internationalen Standards, die von den Vereinten Nationen, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und der IAO ausgearbeitet wurden, Richtwerte vor, an denen sich Regierungen, Unternehmen und Arbeitnehmer gleichermaßen orientieren können, um gegen die Ausbeutung von Arbeitskräften und Menschenhandel vorzugehen. Das geschieht häufig auf freiwilliger Basis. Es steht Unternehmen frei, Global Compact, dem Globalen Pakt der Vereinten Nationen beizutreten und sich für dessen zehn Prinzipien in den Bereichen Menschenrechte, Arbeitsnormen, Umwelt und Korruptionsbekämpfung einzusetzen. Sie können auch die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte heranziehen, in denen sowohl die Rolle des Staates als auch die der Wirtschaft für den Schutz der Menschenrechte der Arbeitnehmer und die Schaffung von Abhilfe bei Verletzungen dargelegt ist. Das von den Vereinten Nationen festgelegte Ziel für nachhaltige Entwicklung 8.7 sieht die Abschaffung der Zwangsarbeit und die Beendung der modernen Sklaverei und des Menschenhandels vor.
Unilever, ein Konzern mit 172 000 Angestellten und 76 000 Zulieferern (Zahlen von 2015), ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein Unternehmen mit entschlossenen Maßnahmen dafür sorgt, dass seine Lieferketten frei von Ausbeutung und Menschenhandel sind. Unilever war eines der ersten Unternehmen, das die UN-Normen übernommen hat, und war Vorreiter des Berichtsrahmens zu den Leitprinzipien der Vereinten Nationen, die Unternehmen bei der Berichterstattung über ihre Umsetzung von Maßnahmen gegen den Menschenhandel helfen.
Ein weiteres beeindruckendes Beispiel für freiwillige Maßnahmen von Unternehmen liefert die Electronic Industry Citizenship Coalition, ein Berufsverband von mehr als 110 Elektronikunternehmen, der einen Verhaltenskodex beschlossen hat, der es seinen Zulieferern in mehr als 120 Ländern den Einsatz von Menschenhandel und Zwangsarbeit untersagt.
Der Ansatz arbeitskräfteorientierte soziale Verantwortung ist eine weitere bemerkenswerte Initiative. Das Fair-Food-Programm der Koalition der Arbeiter von Immokalee in Florida (Vereinigte Staaten) basiert auf einer Partnerschaft zwischen Landarbeitern und Supermarkt-Giganten und Fast-Food-Ketten, mit dem Ziel, die Lieferketten „sauber“ zu halten. Das Programm wurde von der Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte als ein vielversprechendes Modell ausgewählt.
In Deutschland arbeitet die Regierung mit Unternehmen im Rahmen des Bündnisses für nachhaltige Textilien zusammen, einer Multi-Stakeholder-Initiative der Textil- und Bekleidungsindustrie. Der Einzelhandel, Gewerkschaften, die Zivilgesellschaft und das deutsche Bundeministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung fördern soziale, ökologische und ökonomische Verbesserungen in der gesamten Textilkette durch die Umsetzung internationaler Leitlinien.
Einige Regierungen nutzen die moderne Informationstechnologie zur Entwicklung von Werkzeugen, die freiwillige Bemühungen von Unternehmen und Konsumenten dabei unterstützen, nur Waren zu kaufen, die nicht durch Zwangsarbeit entstanden sind. Die deutsche Regierung hat ein Internetportal eingerichtet – auch als App für Smartphone verfügbar (www.siegelklarheit.de) –, das ökologische und soziale Gütesiegel für Textilien, Papier, Computer und Haushaltprodukte vorstellt, miteinander vergleicht und erläutert, wofür jedes Gütesiegel steht, für die es eine Reihung vornimmt. In den Vereinigten Staaten hat das Arbeitsministerium die App Sweat & Toil entwickelt, die weltweit Zwangsarbeit und insbesondere Kinderarbeit dokumentiert (www.dol.gov/dol/apps/ilab.htm).
So ermutigend diese Initiativen auch sind, gibt es unweigerlich auch Rückschläge. Erstens können die Standards, für die ein Unternehmen – selbst in allerbester Absicht – eintritt, nur dann etwas bewirken, wenn es geeignete Mechanismen zur Überprüfung der Einhaltung und Verifikation gibt. Und zweitens müssen die Ausbeutung von Arbeitskräften und Menschenhandel überall beseitigt werden, doch können Unternehmen, so sehr sie sich auch bemühen, nur auf die eigenen Lieferketten erfassen Einfluss nehmen.
Die Rolle der Regierungen
Die Regierungen spielen bei der Verhütung von Menschenhandel in den Lieferketten eine ganz wesentliche Rolle. Sie können Gesetze erlassen und durchsetzen, die Arbeitnehmer schützen und verantwortungsbewussten Unternehmen einen fairen Wettbewerb innerhalb der gesetzlichen Vorgaben erlauben. Ohne ein solches Regelwerk wären Unternehmen, die Maßnahmen zur Verhütung von Menschenhandel umsetzen, gegenüber Unternehmen, die Arbeitskräfte ausbeuten, im Hintertreffen, was zu Marktverzerrungen und einer Aushebelung des Wettbewerbsprozesses führt.
Der Modern Slavery Act (2015) des Vereinigten Königreichs ist ein gutes Beispiel für ein Gesetz gegen Zwangsarbeit und Menschenhandel. Es enthält eine Bestimmung zur Transparenz in Lieferketten, der zufolge Unternehmen, deren Umsatz eine bestimmte Höhe übersteigt, eine öffentliche Erklärung abgeben müssen, in der sie entweder genau beschreiben, welche Schritt sie ergriffen haben, um sicherstellen, dass ihre gesamte Geschäftstätigkeit und Produktionskette frei von Sklavenarbeit und Menschenhandel sind, oder explizit erklären müssen, dass keine derartigen Maßnahmen ergriffen wurden.
Eine weitere Maßnahme der britischen Regierung zum Schutz der Arbeitnehmer vor Ausbeutung ist die 2004 ins Leben gerufene Gangmasters Licensing Authority (GLA), deren Aufgabe es ist, die Tätigkeit der Vermittler von Arbeitskräften in der Landwirtschaft und im Gartenbau unter die Lupe zu nehmen. Die Organisation wurde vor Kurzem in Gangmasters and Labour Abuse Authority (GLAA) umbenannt und mit zusätzlichen polizeilichen Befugnissen ausgestattet; sie ist auf dem gesamten britischen Arbeitskräftemarkt tätig, wo sie unerlaubten Aktivitäten und Anzeigen wegen Ausbeutung von Arbeitskräften nachgeht, etwa auch Verstößen betreffend den nationalen Mindestlohn, Arbeitsvermittlungsagenturen und Menschenhandel.
Beschaffung durch die öffentliche Hand
Regierungen sind mächtige Wirtschaftsakteure und geben einen beträchtlichen Teil des Bruttoinlandsprodukts eines Landes für öffentliche Aufträge aus, die häufig mehrere Millionen ausmachen. Wenn sie ihre Nachfragemacht dazu einsetzen, die Sorgfaltspflicht in ihren eigenen Lieferketten sicherzustellen, können sie im Kampf gegen Ausbeutung und Menschenhandel viel bewirken. Mehrere OSZE-Teilnehmerstaaten haben dafür vielversprechende Verfahren entwickelt.
Die Vereinigten Staaten etwa haben Maßnahmen eingeführt, durch die öffentliche Auftraggeber daran gehindert werden, Produkte oder Leistungen zu kaufen, die von Opfern des Menschenhandels erzeugt beziehungsweise erbracht werden. Gemäß den Federal Acquisition Regulations 2006 müssen alle staatlichen Beschaffungsaufträge eine Klausel enthalten, die Menschenhandel untersagt. 2012 unterzeichnete Präsident Obama eine Verordnung, die es Auftragnehmern, Subunternehmern und deren Beschäftigten untersagt, Tätigkeiten auszuüben, die mit Menschenhand zu tun haben, und die neue Maßnahmen zur Einhaltung der Vorschriften für internationale und inländische Verträge enthält.
Auch Schweden hat bemerkenswerte Schritte zur Verwirklichung der sozialen Verantwortung im öffentlichen Beschaffungswesen ergriffen. Die schwedischen Kreisverwaltungen haben einen nationalen Verhaltenskodex auf Grundlage der zehn Prinzipien des Globalen Pakts der Vereinten Nationen sowie Verfahren für die laufende Kontrolle der Vertragserfüllung entwickelt.
Korruption ist eine ernstzunehmende Herausforderung für Regierungen, die ihre Lieferketten unter Kontrolle und Aufsicht halten wollen. Die OECD schätzt, dass zwischen 20 und 25 Prozent aller Aufträge der öffentlichen Hand durch Korruption verloren gehen. Das Büro des Koordinators für Wirtschafts- und Umweltaktivitäten der OSZE (OCEEA) hat eine Initiative der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) und der Kommission der Vereinten Nationen für internationales Handelsrecht (UNCITRAL) unterstützt, um vergaberechtliche Vorschriften in den Ländern der Gemeinschaft unabhängiger Staaten und in der Mongolei zu verstärken. Die Initiative half diesen Ländern, ihr Vergaberecht zu verbessern und an das UNCITRAL-Modellgesetz zum öffentlichen Vergabewesen anzugleichen, das den nationalen Regierungen hilft, vergaberechtliche Gesetze für ihre Binnenmärkte zu erlassen oder zu reformieren.
Im Juni 2016 veröffentlichte das OCEEA ein OSZE-Handbuch zur Korruptionsbekämpfung, das über eine Fülle von Referenzmaterial und Rechtsinstrumenten, jüngste Trends in Gesetzgebung und Politik und über maßgebliche Methoden zur Prävention und Beseitigung von Korruption informiert. Es enthält auch ein eigenes Kapitel über die öffentliche Auftragsvergabe, das die Schwachstellen, an denen es zu Korruption kommen kann, beschreibt und Mechanismen zur Korruptionsprävention empfiehlt. Es stellt die wichtigsten internationalen Übereinkünfte und Rechtstexte vor, in denen Verfahren, Regeln und nachahmenswerte Methoden zur Bekämpfung der Korruption im öffentlichen Auftragswesen und die erforderlichen Umsetzungsschritte erläutert werden.
Das Büro der Sonderbeauftragten und Koordinatorin für die Bekämpfung des Menschenhandels (OSR/CTHB) veröffentlichte jüngst einen Überblick über die Umsetzung der Verpflichtungen der Teilnehmerstaaten zur Bekämpfung des Menschenhandels. Daraus geht hervor, dass zwei Drittel der Teilnehmerstaaten Maßnahmen ergriffen haben, die Einbehaltung von Vermittlungsgebühren und Schuldknechtschaft durch Arbeitsvermittlungsagenturen zu untersagen. Einige von ihnen praktizieren eine öffentliche Vergabepolitik, die den Kauf von Waren und Dienstleistungen verbietet, die aller Wahrscheinlichkeit nach von Opfern von Menschenhandel produziert wurden.
Zurzeit führt das OSR/CTHB ein größeres extrabudgetäres Projekt über die Verhütung von Menschenhandel in Lieferketten durch Methoden und Maßnahmen der öffentlichen Hand durch. Das Projekt soll die OSZE-Teilnehmerstaaten durch den Aufbau von Kapazitäten und die Bestellung von praktischen Werkzeugen, Muster-Leitlinien und eine, Kompendium von Ressourcen ganz allgemein in die Lage versetzen, Maßnahmen zur Verhütung von Menschenhandel in Lieferketten umzusetzen. 2016 fanden in Berlin und London Arbeitstagungen statt, in diesem Jahr sind ähnliche Veranstaltungen in Stockholm, Genf und Astana vorgesehen, die letztere im Juni parallel zur Expo 2017 und zum zweiten Vorbereitungstreffen für das Wirtschafts- und Umweltforum der OSZE. Gute Regierungsführung ist die Grundvoraussetzung dafür, dass die Waren und Dienstleistungen, die wir alle gerne in Anspruch nehmen, nicht auf dem Rücken von Menschen produziert werden, die Opfer von Ausbeutung oder Menschenhandels waren.
Der Artikel wurde von Aude Feltz, Zweiter Fachreferent im Referat Kommunikation und Medienbeziehungen des OSZE-Sekretariats, anhand von Informationen zusammengestellt, die Ruth Freedom Pojman, Erste Beraterin im OSZE-Büro der Sonderbeauftragten und Koordinatorin der OSZE für die Bekämpfung des Menschenhandels, und Roel Janssens, Wirtschaftsberater im Büro des Koordinators für Wirtschafts- und Umweltaktivitäten der OSZE, zur Verfügung gestellt haben.
Veröffentlichungen des Büros der Sonderbeauftragten und Koordinatorin der OSZE für die Bekämpfung des Menschenhandels:
Ending Exploitation: Ensuring that Businesses Do Not Contribute to Trafficking in Human Beings: Duties of States and the Private Sector (Occasional Paper Series No. 7, 2014) www.osce.org/secretariat/126305
Survey Report 2016 of Efforts to Implement OSCE Commitments and Recommended Actions to Combat Trafficking in Human Beings www.osce.org/secretariat/289951
Prevention of Trafficking for Labour Exploitation in Supply Chains (Conference Report, 2016) www.osce.org/secretariat/290106
[1] OECD, WTO und Weltbankgruppe (2014) „Global Value Chain: Opportunities, Challenges and Implications for Policy“.
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