Nachhaltige öffentliche Beschaffung in Schweden
Pauline Göthberg gibt Antwort auf unsere Fragen
Pauline Göthberg ist die Nationalkoordinatorin des Netzwerks schwedischer Kreisverwaltungen für nachhaltige öffentliche Beschaffung. In Schweden haben sich 21 Kreisverwaltungen zusammengetan, um sicherzustellen, dass im Zusammenhang mit den von ihnen eingekauften Produkten und Dienstleistungen weder Menschenhandel noch Verletzungen von Arbeitnehmerrechten vorliegen.
Wann und warum wurde das Netzwerk der Kreisverwaltungen gegründet?
2007 beschloss eine unabhängige NGO namens Swedwatch, die über Wirtschaftsbeziehungen Schwedens mit Entwicklungsländern berichtet, die Produktionsbedingungen für chirurgische Instrumente aus Pakistan zu untersuchen, die einige unserer Kreisverwaltungen für öffentliche Gesundheitsdienste bezogen. Im Zuge ihrer Untersuchungen kam sie Kinderarbeit, gefährlichen Arbeitsumgebungen und der Bezahlung unter dem Mindestlohn auf die Spur. Aus der Reaktion auf diese besorgniserregenden Entdeckungen entstand die Arbeit der Kreisverwaltungen für nachhaltige öffentliche Beschaffung. Der Großteil, nahezu 80 % der Beschaffungen der Kreisverwaltungen, erfolgt im Gesundheitswesen. Auch Zahnbehandlungen und öffentlicher Verkehr liegen im Zuständigkeitsbereich der Kreisverwaltungen, den größten Anteil an der Beschaffung machen jedoch Produkte und Dienstleistungen der medizinischen Grundversorgung aus.
Anfangs arbeiteten einige größere Kreisverwaltungen im Rahmen eines Pilotprojekts zusammen. 2010 schlossen sich dann die anderen an, insgesamt sind es nun 21. 2012 wurde ich als Nationalkoordinatorin angestellt. Meine Hauptaufgabe besteht in der Entwicklung landesweit abgestimmter Prozesse und Abläufe zur Vereinheitlichung der Tätigkeit der einzelnen Kreisverwaltungen und der Zusammenarbeit mit anderen globalen Akteuren. Das Netzwerk umfasst auch ein Sekretariat und eine Gruppe von acht Experten, die für die Koordinierung in ihrer Region und in ihrem Fachgebiet zuständig sind. Auf der Grundlage der zehn Prinzipien der Global-Compact-Initiative der Vereinten Nationen haben wir einen nationalen Verhaltenskodex sowie einen Satz von Bedingungen der Vertragserfüllung ausgearbeitet.
Welche Bedingungen wurden für öffentliche Aufträgen festgelegt?
Wer von uns einen Auftrag erhält, vereinbart mit uns, Produkte zu liefern, deren Herstellung im Einklang mit folgenden Normen und Standards steht: der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948, den acht Kernübereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (die zusammen die Themen Zwangsarbeit, Kinderarbeit, Diskriminierung, gleiches Arbeitsentgelt, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit erfassen), dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes (insbesondere Artikel 32 über wirtschaftliche Ausbeutung), dem Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption sowie den im Herstellerland geltenden Gesetze und Vorschriften für Gesundheit, Sicherheit und Arbeitnehmerschutz, Arbeitsrecht (darunter Vorschriften betreffend Entlohnung und Sozialversicherung) und Umweltschutz.
Die Lieferanten haben Prozesse zur Einhaltung der ordentlichen Sorgfaltspflicht anzuwenden, um sicherzustellen, dass die von ihnen gelieferten Produkte im Einklang mit diesen Normen und Standards stehen. Sie haben routinemäßig Folgendes vorzusehen: eine Grundsatzverpflichtung, eine interne Aufteilung der Zuständigkeiten, einen Mechanismus zur Risikoanalyse, eine Beschreibung, wie die sozialrechtlichen Erfordernisse des Auftrags in der Lieferkette weitergegeben und -verfolgt werden und – was besonders wichtig ist – eine Beschreibung, wie bei Missständen und Verstößen Abhilfe zu schaffen ist.
Für die Dauer des Vertragsverhältnisses verfolgen unsere Experten jene Aufträge, bei denen wir die größten Risiken vermuten, um sicherzustellen, dass sich unsere Lieferanten an die Bestimmungen unserer Verträge halten.
Wie beurteilen Ihre Experten, ob die Lieferanten die Normen und Standards erfüllen?
Wir wenden eine dreistufige Methode an: Zuerst senden wir einen Fragebogen aus, in dem wir die Lieferanten fragen, ob alle notwendigen Prozesse und Strategien vorhanden sind, um sicherzustellen, dass sie über ein Qualitätssicherungssystem zur Erfüllung der sozialrechtlichen Anforderungen verfügen. Danach ersuchen wir sie zu verifizieren, wie diese Prozesse in der Praxis funktionieren. Wir wollen das Ergebnis eines Audits sehen, wir wollen sehen, wie ihre Risikobewertung aussieht, ob es zu Verstößen kam und wie diese behoben wurden.
Schließlich können wir ausgehend von diesen Ergebnissen beschließen, in Fabriken eine Prüfung vor Ort durchzuführen. Dabei ziehen wir einen externen Prüfer, also eines der internationalen Wirtschaftsprüfungsunternehmen hinzu, die über lokale Expertise, Kenntnisse der Landessprache sowie der Sprache der befragten Wanderarbeitskräfte verfügen.
Die Hauptverantwortung für die Einhaltung von Normen und Standards liegt also beim Lieferanten?
Ja. Am Anfang handelt es sich in erster Linie um eine Selbstevaluierung der Lieferanten. Aber dann verifizieren wir ihre Evaluierung, indem wir sie ersuchen, uns ihre Auditberichte, ihre Risikobewertungen usw. zukommen zu lassen, die wir dann evaluieren.
Auch für Aktionspläne zur Abhilfe ist es wichtig, dass der Lieferant Verantwortung übernimmt. Wenn uns ein Prüfer nach Durchführung einer Prüfung auf Verstöße hinweist, muss uns das Unternehmen einen Plan für Abhilfemaßnahmen vorlegen. Es geht nicht darum, dass wir ihnen sagen, was sie tun müssen. Wir prüfen die von ihnen vorgeschlagenen Abhilfemaßnahmen und falls wir einige davon als nicht ausreichend erachten, schlagen wir weitere Maßnahmen vor.
Können Sie uns ein Beispiel für einen erfolgreich abgewickelten Fall erläutern?
2015 wurden in einer Fabrik für OP-Handschuhe in Malaysia bei einer im Rahmen unseres Netzwerks durchgeführten Prüfung mehrere gravierende Verstöße gegen Menschen- und Arbeitnehmerrechte festgestellt. Unser Lieferant war ein Großhändler für Produkte der medizinischen Grundversorgung mit Sitz in Schweden, der OP-Handschuhe aus dieser Fabrik bezog. Wir überprüften den Vertrag unter Anwendung der dreistufigen Methode, die ich Ihnen beschrieben habe. Wir verifizierten, ob eine Risikoanalyse durchgeführt worden war und wie sie die Einhaltung der Normen und Standards in ihrer Lieferkette kontrollierten, erhielten jedoch keine zufriedenstellende Beschreibung dieser Prozesse. Daher beschlossen wir, einen Prüfer mit einer Prüfung vor Ort beim Zulieferer in Malaysia zu beauftragen.
Für die Geschäftsleitung der Fabrik kam dies ziemlich überraschend, da es das erste Mal war, dass einer ihrer Abnehmer bei ihnen eine Prüfung vor Ort durchführen ließ. Sie waren aber sehr offen und zeigten uns bereitwillig alle Unterlagen. Manchmal ist es schwierig festzustellen, ob Sklavenarbeit vorliegt, aber in diesem Fall handelte es sich ganz offensichtlich darum. Das Unternehmen gab den Arbeitern Kredit, damit sie ihre Vermittlungsagenturen bezahlen konnten, und zog ihnen das dann von ihren Löhnen ab; sie behielten die Reisepässe der Wanderarbeitskräfte ein und zwangen sie, einen Vertrag zu unterzeichnen, dessen Bedingungen ihnen eine Kündigung und Rückkehr in ihre Herkunftsländer praktisch unmöglich machten. Insgesamt wurden 23 Punkte gefunden, in denen eine Nichterfüllung unserer Bedingungen für nachhaltige Beschaffung vorlag.
Nach der Prüfung führten wir mit der Fabrikleitung ein Gespräch über den Plan für Abhilfemaßnahmen, was nicht so einfach war, da wir nicht wussten, wie weit wir gehen sollten. So wandte ich mich an den Internationalen Gewerkschaftsbund, um mit ihnen die Abhilfemaßnahmen zu erörtern, die wir verlangen konnten. Man schlug uns vor, dass der Lieferant sämtliche Vermittlungsgebühren übernehmen, aber auch Zahlungen an die Wanderarbeitskräfte leisten sollte, die nicht mehr dort arbeiteten. Auch wenn wir nicht alles durchsetzen konnten, übernahmen unsere Lieferanten doch alle Gebühren für die Vermittlung ausländischer Arbeitskräfte, nicht nur jetzt sondern auch in Zukunft und für alle Fabriken. Wir konnten sie aber nicht dazu bringen, Nachzahlungen an ihre ehemaligen Fabrikarbeiter zu leisten.
Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie wir durch Zusammenarbeit mit unseren Lieferanten zu Ergebnissen kommen können. Es gab keine Konfrontation mit der Fabrikleitung, die meines Erachtens in diesem Fall verantwortungsbewusst agierte. Sie traf unmittelbar nach unserer Prüfung mehrere Maßnahmen, die die Bedingungen für die Arbeitskräfte verbesserten.
Arbeiten Sie mit anderen Netzwerken zusammen?
Ja, wir arbeiten mit dem National Health Service in England und dem norwegischen Gesundheitssektor zusammen, mit denen wir eine Absichtserklärung unterzeichnet haben. Gemeinsam planen wir unsere Aktivitäten für die kommenden Jahre, um Doppelarbeit und Überschneidungen zu vermeiden. Ferner arbeiten wir mit dem United Nations Informal Interagency Task Team on Sustainable Procurement in the Health Sector zusammen. Und wir haben eine Absichtserklärung mit den Kommunen in Schweden unterzeichnet.
Mit diesen Partnern tauschen wir uns über Prüfungsergebnisse, Folgemaßnahmen, Diskussionen mit Lieferanten und Probleme, die wir vorfinden, aus. Auch wenn wir jährlich Waren und Dienstleistungen im Wert von 13 Millionen EUR beschaffen, sind wir weltweit gesehen doch nur ein kleiner Abnehmer. Aber durch die Zusammenarbeit mit anderen können wir unseren Einfluss vergrößern und Änderungen bewirken.
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