Interview mit Frank-Walter Steinmeier, Amtierender Vorsitzender der OSZE
Auf dem OSZE-Ministerrat in Belgrad sprachen Sie davon, dass die OSZE durch „turbulentes Fahrwasser“ navigiere. Welchen Kurs dürfen wir vom Kapitän des Schiffes für 2016 erwarten?
Der italienische Jesuitenpriester Claudio Acquaviva schrieb im sechzehnten Jahrhundert „Fortiter in re, suaviter in modo“ – stark in der Sache, milde in der Methode. Alle Teilnehmerstaaten haben sich zu einem umfassenden Prinzipienkatalog bekannt, angefangen von der „Schlussakte von Helsinki“ mit ihrem „Dekalog“, und alle Staaten haben ihr Bekenntnis zu den OSZE-Prinzipien seither immer wieder erneuert, 1990 in der Charta von Paris und zuletzt in der Gedenkerklärung von Astana. Von diesem Kanon werden wir nicht abgehen. Zugleich gibt uns aber der „Geist von Helsinki“ eine eindeutige Methode vor: beständigen Dialog und kooperatives Vorgehen. Wir werden daher in der Zeit unseres Vorsitzes drei Bereiche in den Mittelpunkt stellen: Dialog erneuern, Vertrauen wieder aufbauen und Sicherheit wiederherstellen.
In diesem Gedenkjahr der Schlussakte von Helsinki werden nach wie vor Grundprinzipien der europäischen Sicherheit, die im Gründungsdokument der OSZE festgeschrieben sind, verletzt. Mit welcher Strategie wollen Sie hier Abhilfe schaffen?
Der Bruch von OSZE-Prinzipien und Verstöße gegen das Völkerrecht müssen natürlich klar benannt werden. Gleichzeitig müssen wir uns aber nach Kräften bemühen, die um sich greifende Sprachlosigkeit in Europa zu überwinden. In diesen Zeiten der schweren Krise sollten wir mehr denn je an dem vom KSZE-Prozess vorgegebenen Weg festhalten und in einen ernsthaften Dialog eintreten, das Vertrauen wieder aufbauen und die Sicherheit wiederherstellen. Alles andere würde nur die Verwerfungen verstärken, die wir derzeit auf dem europäischen Kontinent sehen.
In welchen Formaten könnte ein sinnvoller Diskurs in der OSZE wiederhergestellt werden?
Den Dialog zu erleichtern ist einer der Hauptzwecke der OSZE, insbesondere in stürmischen Zeiten. Eine der größten Stärken der Organisation liegt ja gerade darin, dass sie eine Vielzahl von Plattformen dafür anzubieten hat. Die OSZE hat in den letzten Jahrzehnten bewährte Foren in allen ihren Dimensionen entwickelt; diese gut eingeführten Dialogformate werden wir nutzen.
Wir planen auch eine Reihe von Veranstaltungen des Vorsitzes sowohl auf politischer als auch auf Expertenebene, die sich über das ganze Jahr verteilen – immer mit klarem Kurs auf den Ministerrat in Hamburg. Der Tagungsort für dieses wichtige alljährliche Treffen der OSZE-Minister ist mit Bedacht gewählt: keine andere deutsche Stadt steht so sehr für Weltoffenheit, Toleranz und internationale Vernetzung wie Hamburg.
Haben Sie Vorschläge, wie die OSZE wirksamer auf Krisen reagieren könnte?
Die Krise in der und um die Ukraine hat gezeigt, dass uns die OSZE die wesentlichen Instrumente für die Deeskalation in Krisenzeiten zur Verfügung stellen kann, man denke nur an die rasche Einrichtung und schnelle Entsendung der Sonderbeobachtermission für die Ukraine im Frühjahr 2014. Eine wirksame Zusammenarbeit zwischen den OSZE-Staaten ist möglich, wenn der politische Wille dazu vorhanden ist. Wir müssen uns allerdings darum bemühen, dafür zu sorgen, dass die OSZE auf die Erfüllung ihres Sicherheitsmandats und die Ausführung ihrer operativen Aufgaben vorbereitet ist. Im Hinblick darauf sollten wir einige der OSZE-Strukturen und ‑Prozesse überprüfen, vor allem in Bezug auf Frühwarnung, Konfliktanalyse, Vermittlung und Mediation und operative Fähigkeiten. Wir werden daher bestrebt sein, einen Diskussionsprozess über die Krisenreaktions- und Krisenbewältigungsfähigkeiten der OSZE in allen Phasen des Konfliktzyklus anzustoßen – einschließlich Überlegungen über eine angemessene Finanzierung. Es sollte uns klar sein, dass fehlende Ressourcen die Effizienz der OSZE vor Ort schmälern würden.
Welche Schritte sollte die OSZE zur Verminderung militärischer Risiken unternehmen?
Wir müssen die vertrauens- und sicherheitsbildenden Maßnahmen und die kooperative Rüstungskontrolle mit neuem Leben erfüllen. Sie haben uns in der Vergangenheit geholfen, militärische Risiken zu vermindern. Angesichts der erhöhten militärischen Aktivität im OSZE-Raum brauchen wir sie mehr denn je. Leider wurden die Instrumente, die wir haben – insbesondere die des Wiener Dokuments – schon seit geraumer Zeit nicht mehr an die aktuellen Herausforderungen und militärischen Gegebenheiten angepasst. Deshalb ist die Arbeit an dieser dringend notwendigen Aktualisierung eine unserer Prioritäten für das Jahr 2016.
Wenn das Wiener Dokument an die aktuelle Lage adaptiert wird, kann es auch heute noch eine wertvolle Rolle zur Verminderung der militärischen Risiken spielen. Durch den verpflichtenden Informationsaustausch, die vorherige Ankündigung oder durch Sicherstellung der Möglichkeit der gegenseitigen Beobachtung kann es mithelfen, die Transparenz der Streitkräfte und insbesondere militärischer Aktivitäten zu erhöhen. Auf diese Art und Weise kann es dazu beitragen, einige der großen Gefahren des derzeitigen Sicherheitsumfelds zu vermeiden, nämlich gefährliche Fehlperzeptionen und eine unbeabsichtigte Eskalation.
Sie haben sich dafür entschieden, das diesjährige Wirtschafts- und Umweltforum dem Schwerpunkt guter Regierungsführung zu widmen. Warum?
Gute Regierungsführung ist eine Voraussetzung für Konnektivität und engeren wirtschaftlichen Austausch. Sie spielt eine Schlüsselrolle bei der Korruptionsbekämpfung, für bessere Investitionsbedingungen und im Hinblick auf die Herausforderungen in den Bereichen gute Umwelt-„Governance“ und Arbeitsmigration. Daher werden wir den Schwerpunkt auf diese Aspekte setzen, sowohl im Rahmen des Wirtschafts- und Umweltforums als auch im Rahmen einer Wirtschaftskonferenz im Mai in Berlin.
Viele sicherheitspolitische Herausforderungen, vor denen unsere Gesellschaften heute stehen – eine der größten davon die Migration –, kommen von außerhalb des OSZE-Raums. Was kann die OSZE dagegen unternehmen?
Unsere Gesellschaften stehen tatsächlich vor einer Reihe großer Herausforderungen und Bedrohungen, deren eigentliche Ursachen außerhalb liegen. Das gilt für die Migration, aber auch für den internationalen Terrorismus, für Radikalisierung, den Drogen- und Menschenhandel.
Abgesehen von den zahlreichen OSZE-Programmen und ‑Aktivitäten auf diesem Gebiet sind die Kooperationspartner der OSZE für mich außerordentlich wichtige Handlungsträger bei der gemeinsamen Auseinandersetzung mit diesen Problemen. Die Konferenz mit den Mittelmeerpartnern im Oktober 2015 in Jordanien war ein sehr guter Einstieg in einen tiefergehenden regionenübergreifenden Dialog und in eine Abstimmung unserer Bemühungen angesichts der wachsenden Herausforderungen.
Welche Rolle sollte die OSZE Ihrer Meinung nach bei der Terrorismusbekämpfung spielen?
Die entsetzlichen Anschläge der letzten Monate und Jahre haben deutlich gezeigt, dass die bilaterale und multilaterale Zusammenarbeit und auch der Austausch vorbildlicher Methoden beträchtlich verstärkt werden müssen. Ich bin davon überzeugt, dass die OSZE diesen unverzichtbaren Austausch sowohl auf politischer als auch auf Expertenebene erleichtern kann. Wir bereiten eine Konferenz für 2016 zum Schwerpunktthema „Bedrohung durch den Dschihadismus“ vor, die sich mit den zurückkehrenden ausländischen Kämpfer und den ungeheuren Herausforderungen befassen soll, die deren Wiedereingliederung in unsere Gesellschaften mit sich bringt.
Brauchen wir heute eine stärkere – auch finanziell stärkere – OSZE?
Die OSZE hat angesichts der Herausforderungen des aktuellen Umfeldes ihren unverzichtbaren Wert als Dialogforum und anerkannter Krisenmanager, insbesondere in der Ukraine, unter Beweis gestellt. Aus unserer Sicht sollten diese beachtlichen Fähigkeiten erhalten und, wo notwendig, aktualisiert werden, um sie zukunftstauglich zu machen. Ich meine, dass das mit der Bereitstellung der für die Erfüllung der zugewiesenen Aufgaben notwendigen personellen und finanziellen Ressourcen Hand in Hand gehen muss. Mehr OSZE für weniger Geld ist kein erfolgversprechendes Konzept.
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