In der Auseinandersetzung mit Gewalt gegen Frauen gilt es, gegen geschlechtsspezifische Ungleichbehandlung und Diskriminierung anzugehen
CEDAW ist das unabhängige Sachverständigengremium, das die Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau überwacht. Wir sprachen über die Bedeutung der zuletzt von CEDAW verabschiedeten allgemeinen Empfehlung Nr. 35 zu geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen. Diese enthält unter anderem die jüngste Definition von geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen, die verstärkt auf die sozialen Ursachen des Phänomens abstellt und die Verpflichtungen der Vertragsstaaten aus dem Übereinkommen unterstreicht. Leinarte ging auch auf die Fortschritte im Kampf gegen Gewalt gegen Frauen und vorbildliche Verfahren auf diesem Gebiet in der OSZE-Region ein.
Welche Bedeutung hat die Allgemeine Empfehlung Nr. 35 des CEDAW?
Mit der [neuen] Allgemeinen Empfehlung wurde die Allgemeine Empfehlung Nr. 19 aus dem Jahr 1992 aktualisiert. Die Allgemeine Empfehlung 19 definierte erstmals in der Geschichte Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung und Diskriminierung der Frau. Noch nie zuvor hatte sich ein völkerrechtliches, regionales, geschweige denn innerstaatliches Rechtsinstrument diesen Ansatz für „Gewalt gegen Frauen“ zu eigen gemacht. Der CEDAW-Ausschuss hielt immer an dem Ansatz fest, der besagt, dass eine Verbesserung der Stellung der Frau im Vergleich zum Mann es weniger wahrscheinlich macht, dass sie Opfer von Gewalt wird. Deshalb anerkennt die Allgemeinen Empfehlung Nr. 35 auch die geschlechtsspezifische Ungleichbehandlung und Diskriminierung als die eigentlichen Ursachen der Gewalt gegen Frauen und stellt fest, dass Frauen diejenige Gruppe sind, die am meisten von dieser Form der Gewalt und insbesondere häuslicher Gewalt betroffen ist.
Die Allgemeinen Empfehlungen Nr. 19 und Nr. 35 geben einen umfassenden Überblick darüber, was Gewalt gegen Frauen ist, und erläutern, dass sie sich auf Handlungen oder die Androhung von Handlungen bezieht, die zum Tod oder zu körperlichen, sexuellen, psychischen oder wirtschaftlichen Schäden oder Leiden bei Frauen und Mädchen führen.
Wie wird dadurch die Allgemeine Empfehlung Nr. 19 gestärkt?
In dieser Aktualisierung wird betont, dass Frauen ihr ganzes Leben hindurch von Gewalt bedroht sind und diese in allen Bereichen, dem öffentlichen wie dem privaten, vorkommt, auch im Internet und im digitalen Raum. Geschlechtsspezifische Gewalt kann im Zusammenhang mit neuen Phänomenen auftreten, wie etwa zunehmender Globalisierung, Militarisierung, gewalttätigem Extremismus und Terrorismus.
Darüber hinaus sind wir zu dem Schluss gekommen – und das steht in engem Zusammenhang mit der Istanbuler Konvention [Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt von 2014] –, dass wir in Zukunft anstelle des Terminus „Gewalt gegen Frauen“ lieber „geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen“ verwenden. Dadurch kommt noch deutlicher zum Ausdruck, dass diese Gewalt nicht so sehr als individuelles, sondern vielmehr als soziales Problem zu verstehen ist. Wir betonen, dass geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen sich nicht auf einen konkreten Vorfall oder individuelle Täter reduzieren lässt. Die Ursache der Gewalt gegen Frauen liegt in der Ungleichbehandlung von Frauen und Männern und der Diskriminierung von Frauen.
Ich möchte hier auch noch besonders auf einen weiteren Aspekt der Allgemeinen Empfehlung Nr. 35 eingehen, dass nämlich darin zum ersten Mal geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen mit grausamer Behandlung und Folter verknüpft wird, insbesondere im Hinblick auf die sexuelle und reproduktive Gesundheit.
Darüber hinaus fordert diese Empfehlung die Rücknahme aller Gesetze, die Frauen überproportional benachteiligen, darunter auch Gesetze, die etwa für Frauen die Todesstrafe verlangen, wenn sie lesbisch, bisexuell oder transgender sind oder wenn ihnen Prostitution oder Ehebruch vorgeworfen wird. Und schließlich enthält die Empfehlung auch Präventionsstrategien und, was besonders wichtig ist, das Mediationskonzept. Sie hält fest, dass Mediation zwischen Ehepartnern niemals verpflichtend vorgeschrieben sein sollte, da eine solche Bestimmung im Falle einer gewalttätigen Beziehung oder Ehe den Frauen unter Umständen nahelegt, ihr gemeinsames Leben mit dem Täter fortzusetzen.
Kommen wir mit der Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen voran?
Im Allgemeinen können wir keinen Rückgang der Gewalt gegen Frauen erkennen. Was wir jedoch feststellen können – und ich denke, die anderen Ausschussmitglieder würden mir da zustimmen – sind deutliche Fortschritte bei der Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen im Alltag. Hauptsächlich deshalb, weil wesentlich mehr Länder bei der Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen eine sehr positive Sozialpolitik einsetzen, insbesondere im Hinblick auf häusliche Gewalt, sexuelle Belästigung und den Umgang mit sexueller Gewalt. Allerdings erreicht die Gewalt gegen Frauen vor dem Hintergrund von Konflikten und nach Konflikten ein sehr hohes Niveau.
Können Sie ein Beispiel für eine nachahmenswerte Maßnahme nennen, die anderen als Vorbild dienen könnte?
Ein Land, das meiner Meinung nach ziemlich gut dasteht, ist Deutschland. Das Land verfügt über eine recht gutes Netz an Frauenhäusern, was für die Bekämpfung der geschlechtsspezifischen Gewalt wichtig ist. Es hat ein dichtes und umfassendes Netz verschiedenster Unterstützungseinrichtungen für Opfer und Kinder geschaffen, das über 350 Frauenhäuser und mehr als 40 sogenannte Zufluchtswohnungen umfasst. Laut Statistik nehmen jährlich zwischen 15 000 und 17 000 Frauen und ihre Kinder diese Schutzeinrichtungen in Anspruch. Darüber hinaus gibt es für Opfer ein System der finanziellen Entschädigung und andere Sozialleistungen. Besonders fortschrittlich – was es meines Wissens auch in keinem anderen Land gibt – ist ein Gesetz, das im vergangenen Jahr verabschiedet wurde und den Tatbestand der sexuellen Belästigung nicht nur auf den Arbeitsplatz beschränkt, sondern auch im öffentlichen Raum wie etwa einer Bar oder einer Disco unter Strafe stellt. Deutschland kann auch stolz sein auf seine sehr umfassenden Opfer- und Täterstatistiken, auch was die persönlichen Beziehungen zwischen Opfern und Tätern anbelangt. Es gibt ein Standardverfahren zur Sammlung derartiger Daten für Polizeibeamte. Und natürlich hat Deutschland auch die Konvention von Istanbul ratifiziert.
Wenn Sie den OSZE-Teilnehmerstaaten einen einzigen Auftrag für die Kampagne „16 Aktionstage gegen geschlechtsspezifische Gewalt“ mit auf den Weg geben wollten, wie würde er lauten?
Ich würde spontan den Wunsch äußern, dass alle Teilnehmerstaaten das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt – die Konvention von Istanbul – ratifizieren und alle Prinzipien für die Umsetzung dieses großartigen internationalen Rechtsinstruments befolgen. Dieses Übereinkommen enthält die strengsten internationalen Normen für die Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen und darüber hinaus eine äußerst ausführliche Anleitung für die Umsetzung dieser Normen in der Praxis.
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