Ein Weg zu neuem, nachhaltigen Wirtschaften?
Der Einsatz von Zwangsarbeit bei der Produktion von Gütern und Dienstleistungen, die Regierungsbehörden und Unternehmen regelmäßig beziehen, verbreitet sich immer mehr. Wenn man bei der Beschaffung nicht genau hinsieht, kann es passieren, dass man Zwangsarbeit Vorschub leistet, ohne es zu wollen. Dies zeigt sich eindrücklich am Fall „Top Glove“, der große Bekanntheit erlangte. Der Hersteller medizinischer Handschuhe verkaufte während der Pandemie Milliarden von Handschuhen an staatliche Auftraggeber: Unter dem hohen Druck, so schnell wie möglich auf eine öffentliche Gesundheitskrise reagieren zu müssen, finanzierten sie ungewollt Zwangsarbeit.
Einer der effektivsten Wege, um Menschenhandel zum Zweck der Zwangsarbeit zu unterbinden und zu verhindern, besteht darin, Gütern oder Dienstleistungen, die von Opfern von Menschenhandel produziert wurden, den Markt zu entziehen, indem bei der Beschaffung informierte und ethische Entscheidungen getroffen werden. Der Plan ist einfach: Um Zwangsarbeit zu beenden, müssen wir damit aufhören für Zwangsarbeit zu bezahlen. Um diesen Plan umzusetzen, werden in immer mehr Staaten Gesetze erlassen, mit denen Menschenhandel in Lieferketten unterbunden werden soll.
Unlängst eingebrachte Gesetzesinitiativen zur Bekämpfung von Menschenhandel (THB) in Lieferketten gewinnen neuerdings immer mehr an Schlagkraft, indem man mehr und mehr dazu übergeht, zwingende Rechtsvorschriften zu schaffen, anstatt auf unverbindliche Richtlinien und Vorgaben zu setzen. Auch wenn freiwillige Initiativen immer noch eine wichtige Rolle bei der Etablierung normativer Vorgaben für die Privatwirtschaft und für den öffentlichen Dienst spielen, verändert das Entstehen von „Hard Law“-Instrumenten diesen globalen regulatorischen Rahmen rasch. Gesetze gegen Menschenhandel in Lieferketten können grob in fünf Gruppen eingeteilt werden: (1) Importverbote (Import Bans), (2) Berichterstattungsvorschriften (Reporting Laws), (3) Publizitätsgesetze (Disclosure Laws), (4) Sorgfaltspflichtengesetze (Due Diligence Laws) und (5) Sorgfaltspflichten-Plus-Gesetze (Due Diligence ‘plus’ Laws) .
Die erste Gruppe – Importverbote – umfasst Gesetze, die Handelsbeschränkungen für solche Güter vorsehen, die unter Einsatz verbotener Formen von Arbeit gefertigt wurden. Die Vereinigten Staaten (Paragraph 307 des US-Zolltarifgesetzes Tariff Act 1930) und Kanada verfügen über Gesetze und Vorschriften zum Verbot des Imports von Gütern, die ganz oder teilweise durch Einsatz von Zwangsarbeit abgebaut, produziert oder gefertigt wurden. Zoll- und Grenzschutzbehörden dürfen das Anhalten von Warenlieferungen anordnen, die unter dem Verdacht stehen, illegal zu sein, und sie können die Waren beschlagnahmen und aus dem Verkehr ziehen. Auch Bußgelder können verhängt werden, was aber bisher selten geschieht. In den Vereinigten Staaten müssen Importeure zur Freigabe eingezogener Waren den Nachweis erbringen, dass die Ware nicht unter Einsatz von Zwangsarbeit produziert wurde. Gemäß Statistiken, die von den US Zoll- und Grenzbehörden veröffentlicht wurden, wurden Lieferungen aus mindestens 12 Ländern gemäß den gesetzlichen Bestimmungen in US-Häfen gestoppt.
Berichterstattungsvorschriften fordern normalerweise von Unternehmen für jede Rechnungslegungsperiode einen Bericht über die Präventions- und Abhilfemaßnahmen zur Bekämpfung gewisser Arten von Menschenrechtsverstößen in ihrer eigenen Geschäftstätigkeit und in den Wertschöpfungsketten. Gemäß der Bestimmung aus Paragraph 54 zur Transparenz in Lieferketten (Transparency in Supply Chains) des UK Modern Slavery Act 2015 ist es für davon betroffene Unternehmen erforderlich, einen Jahresbericht über die Maßnahmen zu erstellen und zu veröffentlichen, um die Risiken moderner Sklaverei in ihrem Geschäftsbetrieb und in ihren Lieferketten zu bewerten und gegenzusteuern. Im Australian Modern Slavery Act 2018 sind ähnliche Vorschriften zum Berichtswesen verankert, doch sind darin detailliertere und zwingende Anforderungen an Inhalt und Struktur von solchen Berichten festgelegt. Die Regierungen des Vereinigten Königreichs und Australiens haben zentrale Repositorien geschaffen, um es der Öffentlichkeit zu erleichtern, von Unternehmen vorgelegte Berichte zu finden und zu vergleichen. Auf EU-Ebene müssen gemäß der Richtlinie über die nichtfinanzielle Berichterstattung (2014/95) Unternehmen ab 500 Beschäftigten einen Bericht erstellen, mit Informationen über Strategien und Due-Diligence-Prozesse, mit denen den Risiken im Zusammenhang mit Umweltschutz, Menschenrechten, Arbeitsrechten und Antikorruptionsgesetzen begegnet werden soll.
Im Unterschied zu Berichterstattungsvorschriften sollen Publizitätsgesetze privaten juristischen Personen keine direkten Berichtspflichten auferlegen, sondern sie sollen nur das Offenlegen von Informationen über die Menschenrechtsbilanz von privatwirtschaftlichen AkteurInnen regeln, die in der Hand von staatlichen Stellen liegen. Ein Beispiel dafür ist die „schmutzige Liste“ über Sklavenarbeit. Zweimal jährlich veröffentlicht die brasilianische Regierung eine Liste mit den Namen von Privatpersonen und Unternehmen, die verurteilt wurden, weil sie Arbeitskräfte unter „Bedingungen, die Sklaverei gleichkommen“, haben arbeiten lassen.
Diese beiden Herangehensweisen sorgen zwar dafür, dass der Umgang mit Menschenrechten offengelegt werden muss, aber sie verpflichten die Unternehmen nicht direkt dazu, die Sorgfaltsprüfung bezüglich der Einhaltung von Menschenrechten fest in den unternehmerischen Strategien und Praktiken zu verankern. Sie basieren darauf, dass den Unternehmen ein Imageschaden und finanzielle Einbußen drohen, wenn potenzielle Geldgeber und Kunden, Verbraucher und Geschäftspartner aufgrund der berichteten Informationen Entscheidungen treffen.
Um die Wirksamkeit einer Gesetzgebung zu maximieren, die auf Publizität basiert, kann die Nichteinhaltung der Gesetze zusätzlich mit Sanktionen belegt werden. Im vergangenen Jahr kündigte die Regierung des Vereinigten Königreichs neue Maßnahmen zur Stärkung des Modern Slavery Act an, unter anderem die Möglichkeit, Bußgelder für juristische Personen zu verhängen, die ihren Verpflichtungen gemäß den Transparenzbestimmungen des Gesetzes nicht nachkommen. Im Falle der brasilianischen „schmutzigen Liste“ drohen Unternehmen und Privatpersonen, die dort erscheinen, behördliche Sanktionen; so dürfen sie beispielsweise keine öffentlichen Fördergelder beziehen und nicht an öffentlichen Ausschreibungen teilnehmen.
Gruppe 4 und 5 der Gesetze lassen sich unter Due Diligence subsumieren, die von juristischen Personen – Regierungsbehörden oder Wirtschaftsunternehmen – im Wesentlichen fordern, sich darum zu bemühen, Ausbeutung in ihren Lieferketten zu erkennen und gegenzusteuern. Die Gruppe 4 der Gesetze enthält eine explizite Verpflichtung für Unternehmen, menschenrechtliche Sorgfaltsprüfungen durchzuführen, doch ohne die Haftung zu etablieren, die den Gesetzen in Gruppe 5 eigen ist. Die Due-Diligence-‘plus’-Gesetze der Gruppe 5 gehen über den Umfang der Due-Diligence-Gesetze der Gruppe 4 hinaus, indem sie Bestimmungen zur zivil- oder strafrechtlichen Haftung einführen oder Rechtswege eröffnen, durch den betroffene Einzelpersonen oder Gruppen bzw. deren VertreterInnen Rechtsmittel für Gesetzesverstöße oder sofortige Abhilfe durch die Träger der entsprechenden Pflichten erwirken können.
Die Due-Diligence-Gesetze aus Gruppe 4 und 5 können in ihrer rechtlichen Ausformung sehr unterschiedlich sein. Der wesentliche Unterschied zwischen diesen Gesetzen besteht in den Elementen, die sie abdecken: Branchen; Menschenrechtsverletzungen; sonstige Verstöße (z. B. Rodungen und Umweltzerstörung); welche Unternehmen erfasst sind (z. B. Größe, Beschäftigtenzahl, Jahresgewinn etc.); die speziellen Pflichten betroffener juristischer Personen einschließlich Berichtspflichten (z.B. Pflicht zur Veröffentlichung eines Sorgfaltsplans gemäß französischem Recht oder Berichte gemäß niederländischem und norwegischem Recht); die institutionellen Vereinbarungen für Überwachung und Geltendmachung; und die Strafen für Nichteinhaltung.
Einige Gesetze regeln nur den Umgang mit einer sehr eng gefassten Menge von Rechtsverletzungen oder sie sind branchenspezifisch. So geht es beispielsweise im niederländischen Gesetz über die Sorgfaltspflichten hinsichtlich Kinderarbeit (Child Labour Due Diligence Act, 2019) allein um das Verbot von Kinderarbeit. Das norwegische Transparenzgesetz (Transparency Act 2021) hat Menschenrechte und menschenwürdige Arbeitsbedingungen zum Inhalt, berücksichtigt aber nicht explizit Umweltfragen. Die EU-Konfliktmineralien-Verordnung gilt nur für EU-Importeure, Schmelzer und Veredler, die ein bestimmtes jährliches Importvolumen an Mineralien oder Metallen überschreiten.
Unter dem französischen Sorgfaltspflichtengesetz müssen Unternehmen Sorgfaltspflichten nachkommen, damit Verletzungen sämtlicher international anerkannter Menschrechte, Verstöße gegen Arbeitsschutzvorschriften sowie Umweltschäden aufgedeckt und vermieden werden. Das kürzlich verabschiedete deutsche Lieferkettengesetz deckt ebenfalls einen breiten Themenbereich ab und ermöglicht es NGOs und Gewerkschaften, Unternehmen in ihrem Namen vor Gericht zu bringen. Festgelegt ist darin auch, dass Unternehmen Abhilfemaßnahmen ergreifen müssen, wenn sie Menschenhandel oder andere Menschrechtsverletzungen bemerken. Das Gesetz geht sogar soweit, die für die Durchsetzung des Rechts zuständige Behörde festzulegen ‒ ein kritischer Aspekt, der insbesondere in Vorschriften zum Berichtswesen und in Publizitätsgesetzen oft fehlt.
In Due-Diligence-Gesetzen sind spezielle Pflichten häufig nicht detailliert festgelegt. Als Argument für diese Vagheit wird manchmal angeführt, dies sei wichtig, um zu vermeiden, dass der Due-Diligence-Prozess nicht zu einem reinen Abhaken von Checklisten verkommt, andere hingegen sehen eher die Gefahr, dass zu allgemein gefasste Verpflichtungen dazu führen, dass Unternehmen sich überhaupt aus ihrer Verantwortung stehlen. Aus diesem Grund sind die genauen Maßnahmen, die Unternehmen zu treffen haben, um ihren rechtlichen Verpflichtungen nachzukommen, höchst kontextspezifisch. Zu diesen Maßnahmen können zum Beispiel Supply Chain Mapping gehören, Inspektionen vor Ort; die Anforderung an Lieferanten, mit branchenspezifischen oder lokalen Nachhaltigkeitsinitiativen in Dialog zu treten; und das Anstreben von Audits oder Zertifizierung durch Dritte.
Die Entwicklung in Richtung einer gesetzlichen Verankerung von Due-Diligence-Pflichten ist sehr zu begrüßen, zumal sie zeigt, dass man erkannt hat, dass unternehmerisches Handeln durchaus einen positiven Einfluss bei der Bekämpfung der Zwangsarbeit haben kann, dass man aber nicht davon ausgehen kann, dass die Masse der Unternehmen freiwillig und so schnell handeln wird, wie die Politik dies für erforderlich hält. Vor dem Hintergrund dieser inhomogenen Rechtslage wird jeder Staat seine eigene Herangehensweise festlegen müssen. Es gibt ja bereits frühere Gesetze gegen Menschenhandel in Lieferketten, die bereits umgesetzt sind. Wir müssen von diesen Gesetzen und aus ihren Folgen lernen, verstehen, „was besser funktioniert“, und bereit sein, diese Gesetze anzupassen, zu verbessern und zu harmonisieren.