Zweiter Korb – wohin führt der Weg? Die Entwicklung der Wirtschafts- und Umweltdimension der OSZE
Die Wirtschaft- und Umweltdimension der OSZE geht auf den sogenannten zweiten „Korb“ der Schlussakte von Helsinki 1975 „Zusammenarbeit in den Bereichen der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Technik sowie der Umwelt“ zurück. Aus heutiger Sicht mag es überraschen, wie groß dieser Korb und wie umfangreich sein Inhalt war.
Darin finden sich Bestimmungen betreffend die Förderung des gegenseitigen Waren- und Dienstleistungsverkehrs, den Abbau von der Entwicklung des Handels entgegenstehenden Hindernissen, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Vertretern ausländischer Organisationen, Unternehmen, Gesellschaften und Banken, die Förderung der industriellen Kooperation zwischen nationalen Unternehmen und Gesellschaften, die Entwicklung von Straßennetzen und Zusammenarbeit im Hinblick auf ein zusammenhängendes Wasserstraßennetz in Europa, die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Normung, des Austauschs und der Verbreitung von wissenschaftlichen und technischen Informationen, der Bekämpfung der Luft- und Wasserverschmutzung und des Schutzes der Meeresumwelt.
Es gab natürlich einen ganz bestimmten, historischen Grund für diese Vielzahl an Wünschen, Versprechen und Vereinbarungen: die notwendige und schwierige Aufgabe, die Beziehung zwischen zwei grundlegend verschiedenen Wirtschaftssystemen, den Ländern mit einer Marktwirtschaft auf der einen und den Staatshandelsländern auf der anderen Seite, zu intensivieren. Schon in der Präambel brachten die Teilnehmerstaaten ihren Willen zum Ausdruck, die Zusammenarbeit untereinander zu verstärken, ungeachtet der Verschiedenheit ihrer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systeme. Das wurde jedoch – auch in der Präambel – durch den Hinweis auf ein Prinzip der Gegenseitigkeit relativiert, „die eine ausgewogene Aufteilung der Vorteile und Verpflichtungen vergleichbarer Tragweite ermöglicht“. Im Zuge der Zusammenarbeit sollte der Versuch unternommen werden, einseitige Marktvorteile und ‑ungleichgewichte wettzumachen.
In diesem Zusammenhang erwies es sich als schwierig, die Anwendung der Meistbegünstigungsklausel in der Schlussakte von Helsinki unterzubringen, wie sich das manche Staaten, die nicht am Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen [GATT, der heutigen Welthandelsorganisation (WTO)] teilnahmen, wünschten. Trotzdem konnte man sich auf folgenden Wortlaut einigen: „Die Teilnehmerstaaten […] erkennen die vorteilhaften Wirkungen an, die sich aus der Anwendung der Meistbegünstigung für die Entwicklung des Handels ergeben können“.
Erwähnenswert ist, dass schon damals für viele Länder Westeuropas die ausgehandelten Elemente des „Zweiten Korbes“ in die ausschließliche Zuständigkeit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (der heutigen Europäischen Union) fielen. Daher wurde die Europäische Kommission, die ja formal gesehen kein Teilnehmer der Konferenz war, weitgehend in die Konsultationen eingebunden. Der italienische Ministerpräsident Aldo Moro unterzeichnete die Schlussakte von Helsinki nicht nur im Namen der Republik Italien, sondern auch als amtierender Vorsitzender des Rats der Europäischen Gemeinschaften.
„Korb zwei“ hatte dann auch einen herausragenden Platz in den abschließenden Dokumenten der Folgetreffen von Madrid und Wien in den Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts. Die Teilnehmerstaaten erklärten ihre Bereitschaft, ihre wirtschaftliche Zusammenarbeit zu stärken, wofür dann auch eine eigene Konferenz im Frühjahr 1990 in Bonn einberufen wurde. Doch mit dem plötzlichen Zerfall des östlichen Wirtschaftssystems änderte sich die Agenda. Mit dem Fall der Grenzen zwischen den Systemen – nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht – hatte sich auch die für Bonn ursprünglich vorgesehene Aufgabe zum Zeitpunkt des Treffens bereits erübrigt.
Transformation
Die politischen Umbrüche der Jahre 1989/90 verstärkten und veränderten die Bedeutung wirtschaftlicher und sozialer Faktoren für die Sicherheitspolitik. Neue Herausforderungen traten zutage, unter ihnen die Transformation der Planwirtschaften in funktionierende und umweltverträgliche Marktwirtschaften. Das stand denn auch im Zentrum der Aufmerksamkeit der Bonner Konferenz, die der Auftakt zu einer – wenn auch nur kurzlebigen – Aufwertung der „Wirtschafts- und Umweltdimension“, wie der „Zweite Korb“ ab den 1990er Jahren genannt wurde, war. Im abschließenden Dokument unterstrichen die Teilnehmerstaaten den Zusammenhang zwischen politischem Pluralismus und Marktwirtschaft und einigten sich auf eine Reihe von Prinzipien für den Reformprozess: freie Wahlen, ein demokratisches Mehrparteiensystem, Rechtsstaatlichkeit, Schutz von Privateigentum, Umweltverträglichkeit von Wirtschaftswachstum und ‑entwicklung, das Recht auf Gründung unabhängiger Gewerkschaften sowie die Ausweitung des freien Handels- und Kapitalverkehrs.
1992 wurde dem Ausschuss Hoher Beamter (dem späteren Hohen Rat) die Funktion eines Wirtschaftsforums zugewiesen, dessen Aufgabe es sein sollte, einen Dialog über den Übergang zu freien Marktwirtschaften und deren Entwicklung sowie über wirtschaftliche Zusammenarbeit anzukurbeln und Aktivitäten zu fördern, die bereits in internationalen Fachorganisationen im Gange waren. Als Beispiel dafür sei das fünfte Treffen des Wirtschaftsforums im Jahr 1997 zum Thema „Marktwirtschaft und Rechtsstaat“ angeführt. Die Teilnehmer erörterten die Bedeutung verlässlicher Rechtsnormen für die Wirtschaft und unterstrichen, dass ein Tolerieren von Verstößen gegen gesetzliche Vorschriften, wie Bestechung, Geldwäsche oder Korruption, den Rückhalt der Demokratie und Marktwirtschaft in der Öffentlichkeit unterminiert. Man war sich immer darin einig, dass die OSZE Überschneidungen mit der Arbeit anderer Organisationen und Institutionen vermeiden sollte und ihre Aufgabe in der wirtschaftlichen Dimension die Förderung des Zusammenwirkens zwischen privatem und öffentlichem Sektor sei.
Unterschiedliche Vorstellungen
Die allgemeine Aussage, dass Sicherheit auch wirtschaftliche Komponenten umfasst, ist unbestritten. Daher wurde auch die wirtschaftliche Dimension des umfassenden Sicherheitskonzepts der OSZE niemals offen und direkt in Frage gestellt. Bei verschiedenen OSZE-Treffen wurde immer wieder die Empfehlung laut, die OSZE solle der wirtschaftlichen Zusammenarbeit politischen Nachdruck verleihen, was auch in zahlreiche Dokumente Eingang fand. Doch wurden die wirtschaftlichen Elemente der Sicherheit als Bestandteile einer umfassenden Sicherheitsarchitektur niemals so weit entwickelt, dass der OSZE daraus eine operative Funktion erwachsen wäre.
Die Regierungen der OSZE-Teilnehmerstaaten haben unterschiedliche Vorstellungen vom Umfang der Wirtschafts- und Umweltdimension der Sicherheit, ja sogar von ihrer Bedeutung und ihrem Zweck im Rahmen der OSZE. Die Vertreter mancher Länder legen den Schwerpunkt auf die Rechts- und Vertragssicherheit, den Schutz wirtschaftlichen Eigentums und stabile, verlässliche und berechenbare Parameter der Wirtschaftspolitik; andere denken dabei an Frühwarnsysteme. Und wieder andere wollen der OSZE die Förderung umweltverträglicher Produktionsbedingungen und den Kampf gegen Wirtschaftsspionage und internationale Wirtschaftskriminalität als Aufgaben zuweisen.
Bemerkenswert daran ist, wie wenig auf die wirtschaftliche und ökologische Sicherheit der Menschen als Bürger, Arbeitnehmer und Konsumenten Bezug genommen wird. Im ersten Jahrzehnt nach dem Ende des Kalten Kriegs lag das Hauptaugenmerk auf Instabilitäten, Krisen, Bedrohungen und Risiken für die Wirtschaft, d. h. für Volkswirtschaften, Unternehmen, die Produktion oder den Markt. Sicherheit – oder vielmehr Anpassungsfähigkeit – der Wirtschaft, der Wirtschaftspolitik und der unternehmerischen Tätigkeit waren das Ziel. Maßnahmen für wirtschaftliche Sicherheit sollten das Vertrauen der Unternehmer gewinnen. In diesem Zusammenhang fanden Maßnahmen gegen die Diskriminierung von Wanderarbeitnehmern oder gegen soziale Ausgrenzung Erwähnung, und zwar bereits in einem Kapitel, das in der Schlussakte von Helsinki „Wirtschaftliche und soziale Aspekte der Wanderarbeit“ hieß; sie wurden in den abschließenden Dokumenten der Folgetreffen von Madrid und Wien (1983 beziehungsweise 1989) bekräftigt.
Welche Rolle kommt ihr heute zu?
Heute ist es in der zweiten Dimension nicht mehr das Hauptanliegen der OSZE, die Wirtschaft zu schützen. Ebenso wenig ist es ihr Ziel, vor der Wirtschaft zu schützen. Es sind vielmehr die von wirtschaftlichen Aktivitäten ausgehenden Gefahren und Risiken, die in zunehmendem Maß die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Dazu gehören Produktion, Vertrieb und Ausfuhr gefährlicher Stoffe, der Transport gefährlicher Abfälle, Korruption, Handel mit und Transport von Reaktorbrennstoffen, Drogen und Waffen, Menschenhandel und Geldwäsche. Auch die ökologischen und sozialen Aspekte wirtschaftlicher Sicherheit sind stärker in den Vordergrund gerückt.
Die Wirtschafts- und Umweltdimension der Sicherheit erstreckt sich heute auch auf die wirtschaftlichen Faktoren und Umstände, die an Brennpunkten und in Krisengebieten eine Rolle spielen oder spielen könnten, wie Energieversorgung, Wasserressourcen, natürliche Ressourcen und die Schädigung der Umwelt. Die Befassung mit diesen Fragen gehört zum Mandat mehrerer OSZE-Feldmissionen. Der im OSZE-Sekretariat angesiedelte Koordinator für Wirtschafts- und Umweltaktivitäten hat zu diesen Themenkreisen Seminare organisiert. Insbesondere das bereits erwähnte Wirtschaftsforum, das seit 2007 Wirtschafts- und Umweltforum heißt, hat sich ausführlich mit diesen Problemen befasst, wie aus der nachfolgenden Übersicht hervorgeht. Angesichts der Vielzahl internationaler – und zum Teil finanzkräftiger – Fachorganisationen und ‑Institutionen oder „Clubs“ jedoch, die in diesen Bereichen aktiv sind, bleibt nach wie vor unklar, welche Rolle die OSZE in der Wirtschafts- und Umweltdimension wirklich spielen soll.
Kurt P. Tudyka ist Emeritus der Universität Nijmegen (Niederlande) und Honorarprofessor an der Universität Osnabrück (Deutschland); er war Chefredakteur des OSZE-Jahrbuchs (Hamburg).
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